Dienstag, 30. Juni 2015

Never-Ever Paleo: Cashews


Foto: pixabay
Ein weiterer Fall für die Paleo-Polizei: Die in oberflächlich informierten Paleo-Kreisen allseits beliebten Cashew-Kerne.

Oh, no! Er schon wieder - warum denn die auch noch, wo ich die doch so gerne esse?!?Was soll man denn da noch knabbern?!?

Was habe ich an Cashews als angeblich paleokonformes Nahrungsmittel auszusetzen? Vieles!

Es beginnt mit der Herkunft der Kerne der Frucht des Kaschubaumes, des Kaschuapfels, von dem die "Nüsse" stammen: Es waren die Portugiesen, die nach der Entdeckung Amerikas 1492 den Baum und seine Früchte in Brasilien auftaten und sie von dort im 15. und 16. Jahrhundert nach Indien und Afrika brachten.

Da der Homo sapiens - und mit ihm sein Stoffwechsel - nun einmal in Afrika evolvierte, kam er erst sehr, sehr spät in Kontakt mit den Samen dieser Pflanze, die in seiner ursprünglichen Heimat erst vor rund 400 Jahren heimisch wurde. Das alleine muß aber noch kein K.O.Kriterium sein, denn dieses Manko betrifft auch andere Pflanzen, die man im Rahmen einer emulierten Paleo-Ernährung des 21. Jahrhunderts als konform mit dem Konzept einstufen kann (z.B. Kokosnuss, Avocado).
von Robert Bock

Selbst indigene Völker Brasiliens, die im Gegensatz zu uns Europäern ja eine ganze Weile mehr Zeit hatten, sich an die diversen Antinutrients und Toxine der Pflanze zu gewöhnen, können die Cashews nicht im Rohzustand verzehren. In früheren Zeiten galten bei den Ureinwohnern des brasilianischen Regenwaldes die Samen des Kaschuapfels als nicht essbar und sie aßen lediglich das Fruchtfleisch des Kaschuapfels. Über Trial-and-Error-Prozesse, die sicherlich nicht immer spaßig abliefen, kamen die Regenwaldbewohner aber auf den Dreh, wie man die Cashewkerne eßbar machen kann. Es bedurfte also zunächst einer, vermutlich über Generationen hinweg entwickelten, ausgefeilten Technologie, um halbwegs ungeschoren davonzukommen, wenn man sich mit Cashewkernen verköstigen wollte.

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Die Kerne des Kaschuapfels - es handelt sich botanisch gesehen nicht um Nüsse, sondern um Samen - enhalten in ihrer Schalenhaut nämlich  Urushiol, ein Naturharz (Klasse der Resine) und für den Menschen hochallergenes Kontaktgift, das ähnlich wie der Giftefeu (poison ivy) schlimme Hautausschläge (Warnung: Teils heftige Bilder!) hervorrufen kann. In Nordamerika z.B. reagieren 50-70% der Bevölkerung allergisch auf diesen Stoff.

Gut, dass wir im Laden diese Samenhaut nicht mehr zu Gesicht bekommen, denn sie wird durch einen  ausgeklügelten Denaturierungsprozess mittels Bedampfung ihrer Giftigkeit entledigt. Für die Menschen in den tropischen Regionen, die damit ihr Geld verdienen - Nigeria, Indien und die Elfenbeinküste sind die drei größten Produzenten von Cashews - entwickeln, je länger sie in solchen Arbeitsprozessen tätig sind, verstärkte Allergieneigung auf dieses Toxin. Zwar hat das nun mit unseren ernährungsphysiologischen Luxusproblemen nichts zu tun, aber in Zeiten, in denen sich eine hoffentlich wachsende Zahl von Konsumenten für die Bedingungen interessieren, unter denen die Güter, die sie kaufen, entstehen, sollte das einer Erwähnung wert sein. Die Menschen, die in dieser Industrie schuften müssen, ruinieren sich systematisch ihre Gesundheit. Verschwendet gelegentlich ein kurzen Gedanken daran, wenn ihr irgendein (angeblich paleokonformes) Rezept nachkocht, in dem Cashews als Zutat verlangt werden.

Selbst wenn wir "rohe" Cashews kaufen und verwenden, handelt es sich also nicht um "rohe" Ware im Sinne von Rohkost, sondern um notwendigerweise (mit Hitze) denaturierte Ware, um das Urushiol unschädlich zu machen. In diesem Denaturierungsprozeß werden die Cashew-Samen in der Schale des Apfels mehr oder weniger im Dampfbad gekocht.

Wenn's das alleine wäre, könnte man vielleicht ein Auge zudrücken, auch wenn die von mir hochgeschätzte Daumenregel von Neanderthin-Autor Ray Audette, mein persönlicher Lackmustest in Fragen der Paleokonformität von Lebensmitteln, die ihr auch rechts oben in der Randspalte des Blogs lesen könnt, glasklar verletzt ist:

 "When in doubt about any food, apply the basic principle of Paleolithic nutrition: Would this be edible when found in its natural state and without technology? If the food in question passes this test, it may be eaten without fear."
Aber da ist ja z.B. auch noch das Thema der Phytinsäure - ja, die schon wieder! - die den an sich recht ordentlichen Gehalt an Mineralstoffe und Spurenelementen, den die Cashews an sich liefern würden, gewaltig relativiert, bildet doch Phytinsäure mit diesen Chelatkomplexe, die dann über den Stuhl ausgeschieden werden. Nie vergessen: Das, was im Ausgangsprodukt enthalten ist, ist noch lange nicht das, was in Eurem Körper ankommt! Spielt zwar für die D.G.E. keine Rolle, aber Eurem Stoffwechsel ist die Meinung der D.G.E. schnurzpiepegal.

Höchst amüsant finde ich zu diesem Thema die Einschätzung von Mark Sisson, der zwar hervorhebt, dass Cashews mit einem sagenhaft hohen Gehalt von 1866mg/100g an Phytinsäure so gut wie jede andere Nuss im negativen Sinn schlagen, ausdrücklich dazu rät, diese vor dem Verzehr einzuweichen (eine Methode den Phytingehalt zu reduzieren; weitere sind Ankeinem und Rösten), zur Vorsicht beim Konsum gerösteter und gesalzener Cashews mahnt, weil viele Menschen erfahrungsgemäß jede Hemmung fallen lassen und sich daran überfressen (alleine da sollte man stutzig werden und sich fragen, woran das liegen könnte...), dann aber trotz allem die Cashewkerne als paleo ("primal" in seinem Fall; primal bedeutet in etwa soviel wie Lummerland-Paleo mit reichlich Voodoo-Food aus seinem Webshop) durchgehen läßt. Auch das erinnert mich an manche Stellungsnahme der D.G.E., in welchen das abschließende Urteil so gar nicht zum Text davor passen mag.

Ich hab seinen Webshop bezüglich Cashewprodukten nicht genauer inspiziert, weil mir angesichts des - 'tschuldigung  - Sch...drecks an Nahrungsergänzungsmitteln den er dort zu frivolen Preisen verklopft, die Halsschlagader bedrohlich schwillt, aber in seinem Fall muß man, was fachliche Aussagen angeht, stets vorsichtig sein, weil die Liebe zu Wahrhaftigkeit und Geschäftssinn nicht immer eine Einheit bilden müssen.

Wenn über das Getreide im Paleokontext der Stab u.a. wegen Phytinsäure gebrochen wird, obwohl Vollkornweizen gerademal die Hälfte (!) an Phytingehalt aufweist, wie die Cashewnuss, dann verstehe zumindest ich diese laxe Haltung nicht. Um den Phytingehalt der "rohen" Cashewnuss allein auf das Niveau des rohen Weizenkornes zu senken, bedarf es einiger Mühen.

Wollt ihr verantwortungsvoll mit Cashews umgehen, dann solltet Ihr die als "roh" verkauften Kerne etwa sieben Stunden einweichen und das Einweichwasser wegschütten. Mehr ist, im Gegensatz zu anderen Nüssen und Samen, nicht nötig, da die industrielle Vorbehandlung zur Entfernung des Urushiols schon einen Teil der Mühe erledigt hat. Idealerweise solltet ihr die Kerne dann auch noch rösten, um den Gehalt an Phytinsäure weiter zu reduzieren, das jedoch nur, falls ihr Mengen, die über eine gute handvoll hinausgehen, essen wollt, denn  hohe Hitze denaturiert nolens volens auch alles, was an Enzymen noch enthalten war und zerstörte einen guten Teil der hitzeempfindlichen Mikronährstoffe und sekundären Pflanzenstoffe (obwohl man sich bei denen bezüglich ihres potenziellen Nutzens für unsere Gesundheit nicht immer so sicher sein kann, wie wirtschaftlich interessierte Kreise uns glauben machen wollen.

Naja - wenigstens keine Protease-Inhibitoren drin, so wie in Hülsenfrüchten beispielsweise, meint ihr? Tut mir leid: Weit gefehlt. Selbst diese Antinutrients (Trypsin-Inhibitoren) finden sich in der unbehandelten Cashew-Nuss und sabotieren die Zerlegung der enthaltenen Proteine in Aminosäuren. Einfach ausgedrückt: Die Proteine werden unverdaulich und verrotten dann im Darm, wo sie unserer Mikrobiota - mit zweifelhaften Folgen für uns - als Nahrung dienen.
Schon mal ausprobiert: Woran kann man sich leichter überfressen - an "rohen" oder gerösteten Cashews?
Da hätte Mark Sisson eigentlich stutzig werden sollen, denn Proteaseinhibitoren werden am effektivsten durch große Hitze reduziert. Ihm (oder seinen Ghostwritern - ich bezweifel, dass er noch viel selbst schreibt...) hingegen scheint das Vorkommen dieser Antinutrients in Cashews gar nicht bekannt zu sein. Erwähnt hat er sie jedenfalls in seiner Besprechung der Cashews nicht. Wäre sein Urteil bei Kenntnis der Fakten ggfls. anders ausgefallen? Ihr könnt ihn ja fragen.

Ob allerdings die Autoren dieser vietnamesischen Website sich des Eigentores bewußt sind, das sie geschossen haben, indem sie den hohen Gehalt an Protease-Inhibitoren in ihren Cashews erstens explizit hervorheben und dann auch noch als positiven Nutzen ausloben, das wird wahrscheinlich nie völlig aufzuklären sein, entspräche aber ganz der Praxis der D.G.E. (siehe ganz unten). Vielleicht sind Vietnamesen ja auch nur eine Spur dreister, als unsere Industrielobbyisten, wenn es darum geht, schwarz in weiß zu verwandeln.

Die n6:n3-Ratio der Cashews liegt bei 47:1 (ideal wäre maximal 4:1). Regelmäßiger Konsum in nennenswerten Mengen trägt also glasklar zu einem entzündungsfördernden Eicosanoidhaushalt bei. Kein Paleo-K.O.-Kriterium sicherlich, aber "Nice to Apply", wenn man sich gesund ernähren will. Wer bei der diesbezüglichen Fettstruktur von weidegefüttertem gegenüber getreide-/sojagefütterten Rindern picky ist, sollte es konsequenterweise auch hier sein. Zurecht reitete man m.E. beim Fleischthema und bei den Speiseölen auf der n6:n3-Ratio herum, viele LCHF'ler machen eine Wissenschaft daraus, wenn sie ein halbes Pfund Butter kaufen und ob die irischen Rinder nun tatsächlich auf der Weide standen oder nicht, obwohl der Gehalt von mehrfach ungesättigten Fettsäuren in Butter überschaubar ist  - sollte man es da nicht bei den Nüssen und Samen, um der Konsistenz des Konzeptes willen, nicht auch so halten?

(Um einschlägigen Kommentaren die Grundlage zu entziehen: Butter ist als Lebensmittel nicht paleokonform und LCHF ist nicht das gleiche wie Paleo, wenn auch viele Parallelen bestehen)

Schreiten wir also zur Urteilsverkündung:

Cashews? Never-Ever Paleo!

Ausschlaggebend dafür, die Cashewkerne unterm Strich als nicht paleokonform einzustufen, ist nicht der Aspekt, dass das Zeug aus Südamerika stammt und unser Stoffwechsel dewegen nicht zwingend damit zurecht kommen muß (was de facto ja auch der Fall ist). Nicht die lausige n6:n3-Ratio, auch nicht, dass der Phytinsäuregehalt so außerordentlich hoch ist - das ist er bei anderen Nüssen und Samen auch. Auch der Gahlt an Trypsin-Inhibitoren alleine ist es nicht. Entscheidend ist für mich am Ende, dass man Cashewkerne never-ever in ihrem Rohzustand essen könnte, wenn man einen Kaschuapfel vom Kaschubaum pflücken würde. Ohne eine ausgefeilte Technologie würde man Höllenqualen leiden, was bei dem Gros der anderen Nüsse und Samen nicht der Fall ist. Andere Nüsse und Samen kann man ohne unmittelbare gesundheitliche Beeinträchtigung im Rohzustand konsumieren, auch wenn es sicherlich besser ist, die Antinutrients mittels Einweichen, Ankeimen und Rösten zu reduzieren.
Am ehesten würde ich daher die Cashews aufgrund der unabdingbaren Notwendigkeit sie zu denaturieren, bevor man sie verzehren kann, mit Hülsenfrüchten (z.B. Erdnüssen, Bohnen) vergleichen wollen, die allesamt als nicht paleokonform eingestuft werden - nicht zuletzt wegen ihres Gehaltes an Trypsin-Inhibitoren. Wenn Hülsenfrüchte nicht paleokonform sind, dann dürfen es Cashews angesicht der vielfältigen Parallelen auf keinen Fall sein. Oder sieht das jemand anders?

Re-Post vom April 2014