Sonntag, 11. Februar 2018

Frühstück - Ja? Nein? Falls ja - was?

Ein jeder hat schon mal die Lebensweisheit gehört, wonach man Frühstücken solle wie ein König, Mittagessen wie ein Bürger und Abendessen wie ein Bettelmann.

Selbst nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) ausgebildete Ernährungsberater und akademisch ausgebildetete Ernährungswissenschaftler geben diese Weisheit zum Besten ohne diese auf ihre Sinnhaftigkeit, Entstehungsgeschichte und Relevanz in evolutionsbiologischer Hinsicht hin zu hinterfragen. Und dies auch und vor allem als Tipp, um schlank zu werden und schlank zu bleiben. Hinterfragen und eigenständiges Denken scheint nun mal nicht unbedingt zum Ausbildungskanon eines Ernährungswissenschaftlers zu gehören und könnte die einschlägigen wirtschaftlichen Interessen der Agrarwirtschaft und Industrie unterlaufen, drum liegt vielleicht auch so viel im Argen mit unserer Gesundheit. Aber das ist ein anderes Thema... .

Solche und andere stur und gebetsmühlenhaft heruntergebeteten Formeln des "Conventional Wisdom" haben schon häufig inneren Widerspruch in mir hervorgerufen, wenn Ihr mir gestattet, meine persönlichen Gedanken zu diesem Thema zum besten zu geben. Als Wissenschaftler, der in der Tradition des großen Philosophen und Wissenschaftstheoretikers Karl Popper (ich bin stolz darauf, ihn noch persönlich kennengelernt zu haben) ausgebildet wurde, ist es mir in Fleisch und Blut übergegangen die Dinge zu hinterfragen, vermeintliches Wissen in Frage zu stellen, Hypothesen zu prüfen - und sie entweder als fragwürdig oder als widerlegt zu betrachten oder sie bis zum nächsten Anlauf, in welchem sie falsifiziert werden sollen, als (vorläufig) gültig zu betrachten.

Erheblichen Zweifel an der Richtigkeit der altbekannten "Frühstücksregel" kamen mir, als mir bewußt wurde, wie müde und schläfrig ich nach einem ausgiebigen Frühstück mit allem Pipapo gewöhnlich wurde, obwohl doch ein reichhaltiges Frühstück angeblich ein Garant für einen guten Start in einen erfolgreichen Tag sein soll.
von Robert Bock

Ich bin seit jeher ein Mensch, den man am morgen eher zum Essen zwingen muss, während ich am Abend reinhauen kann für zwei (ok, Olga meint: Für drei). Für mich waren die gut gemeinten Erziehungsleitlinien meiner Eltern in dieser Richtung eher Qual als von nachvollziebarem Nutzen. Zweifel höherer Ordnung kamen mir, als ich mich das erste mal im Biologieunterricht mit Chronobiologie und zirkadischen Rhythmen beschäftigte. Als ich mich dann im Lauf der Jahre mit den sozio-kulturellen Entwicklungslinien unseres Alltags beschäftigte und mich in diesem Zusammenhang speziell mit den Veränderungen des Lebenstils durch Arbeitsteilung und Industrialisierung auseinander setzte, kamen weitere Zweifel in mir hoch: Die in unseren Breiten übliche Dreiteilung der Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten und deren Verknüpfung an feste Uhrzeiten war zum einen der "Erfindung der Uhrzeit" und den ökonomischen Notwendigkeiten unseres getakteten Arbeitslebens geschuldet. Daher muss es auch nicht wundern, dass die legendären Großmeister des oppulenten Frühstückens auch die "Erfinder der Industrialisierung" sind: Die Briten und in deren Tradition die Amerikaner - die Angelsachsen also.

Da der Fabrikarbeiter in der beginnenden Industrialisierung feste Pausenrhythmen einzuhalten hatte und die Pausen zudem immer kürzer wurden, gab es keine Möglichkeit mehr, sich - so wie dies in südlichen Ländern heute noch Usus ist - mittags die Wampe vollzuschlagen und danach Siesta zu halten. Wer den harten Anforderungen des Arbeitsalltages - in etwa ab der Industrialisierung - gewachsen sein wollte, der musste das Gros seiner Kalorien möglichst früh am Tag zuführen. Ob dies im Einklang mit unserer inneren Uhr und den zirkadischen Rhythmen, die unseren Stoffwechsel steuern, im Einklang steht, wurde damals ebensowenig zum Thema öffentlicher Diskurse gemacht, wie die Frage, wie der Mensch mit Schichtarbeit zurecht kommt. Schließlich hat der Mensch - und das nicht erst seit der Industrialisierung - ja leider primär der Wirtschaft zu dienen und nicht umgekehrt und so spielen Fragen einer unserer Biologie angemessenen Gestaltung der Arbeitsbedingungen erst dann eine Rolle, wenn die Produktivität auch kurzfristig zu sinken beginnt.

Dass Schichtarbeit erheblichen Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden eines Menschen hat, ist heute gut erforscht und unbestritten. Wie es um die Frage der Nahrungszufuhr in zeitlicher Hinsicht geht, ist leider nach wie vor ein Randgebiet der Forschung, doch auch hier tut sich etwas, wie ich Euch an einigen Links zu exemplarischen Studien am Ende dieses Essays zum Weiterlesen zeigen werde.

Den letzten Anstoß, meine eigene Nahrungsaufnahme in zeitlicher Hinsicht zu hinterfragen, gaben dann verschiedene ethnologische Studien zum Ernährungsverhalten von heute noch lebenden Jägern und Sammlern sowie die Lektüre der Bücher von Harvey und Marylin Diamond ("Fit for Life"), zweier Protagonisten einer primär vegetarischen Ernährungsweise, deren wissenschaftlich großteils gar nicht bis mangelhaft fundierter Ansichten ich beileibe nicht alle teilen kann, aber aus deren Gedanken ich doch einiges als brauchbar und nützlich für mich und mein Wohlbefinden übernommen habe.

Jäger und Sammler interessieren sich, wenig erstaunlich nebebei angemerkt, nicht für Lebensweisheiten der "Zivilisierten" und verzichten weitestgehend auf eine Morgenmahlzeit. Dies ist sicher auch dem Umstand geschuldet, dass man sich als Jäger und Sammler erst einmal auf den Weg machen muss, um etwas zu jagen oder zu sammeln, bevor mal es verfrühstücken kann. In der Dunkelheit umherzustreifen, nur um zum Tagesanbruch etwas zum Essen zu haben, ist allerdings in der Wildnis nicht ganz ungefährlich, denn dort treiben sich nach wie vor nachtaktive Raubtiere herum, die es auf einen nachts beinahe blinden Sammler abgesehen haben. Nach Tagesanbruch macht sich der Jäger und Sammler also mehr oder weniger ohne vorherige Nahrungsaufnahme an seine Arbeit. Je höher die Sonne am Firmament steht, desto besser vermag er seine evolvierten Wettbewerbsvorteile auszuspielen: Ausdauerndes Laufen unter perfektioniertem Management der Körpertemperatur aufgrund des aufrechten Ganges und der Fähigkeit ausgeprägt zu Schwitzen. Ein voller Magen würde da nur stören, denn es würde Blut und damit Sauerstofftransportkapazität im Verdauungstrakt gebunden, was die Ausdauerleistung potenziell unterminieren und den Jagderfolg sabotieren würde.

Unterwegs wird durchaus der ein oder andere Snack am Wegesrand (Insekten, Früchte, Blattgemüse) verspachtelt, sofern die Konzentration auf die Jagd dem nicht entgegen steht. Nach erfolgreicher Jagd wird die Beute ins Lager geschafft und dann gemeinsam in der einzigen großen, gemeinsam in der Sippe eingenommenen Mahlzeit, genossen. Eine große Mahlzeit am Tag - das große Fressen - und das am Abend. Exakt das Gegenteil der Ratschläge der westlichen Ernährungswissenschaftler, die uns die "König-Bürger-Bettelmann-Regel" verkaufen und dazu raten, zusätzlich zu den Hauptmahlzeiten noch zwei Zwischenmahlzeiten zu konsumieren, aber nach dem Abendessen nichts mehr zu uns zu nehmen.

Ich persönlich habe umfangreiche Erfahrung mit dem Lebenstil der Menschen des modernen Griechenland machen dürfen, und, wie ich mir habe sagen lassen, ist es in anderen Mittelmeerländern nicht anders: Frühstück spartanisch, Mittagsessen hat eher den Charakter eines größeren Snacks - und abends wird getafelt, dass sich die Tische biegen. So hält man das dort seit Menschengedenken und erstaunlicherweise erfreuen sich die Menschen dort einer außerordentlich hohen Lebenserwartung (z.B. auf Kreta). Sollte das nicht Grund genug sein, unsere "Faustregeln der Wissenschaft", den "Conventional Wisdom" in Frage zu stellen? Die Frühstückscerealienindustrie sieht das verständlicherweise völlig anders, würde eine Abkehr von der Verherrlichung des Frühstückens als "die wichtigste Mahlzeit des Tages" erhebliche Absatzeinbussen ihres "Vogelfutters" bedeuten.  Maxime: Jetzt wo wir schon in der Lage sind das Zeug in rauen Mengen billigst zu produzieren, müssen wir eben auch Märkte dafür schaffen! Neuster Trend: "Resistente Stärke" aus billigem Mais für die Low-Carb-Gemeinde, der offensichtlich jede Form von Verarsche gelegen kommt, wenn man nur weiterhin Brot und Kuchen essen darf und das lästige (Blatt-)Gemüse nicht zu essen braucht, um die Darmflora bei Laune zu halten.

By the way: Bitte füttert Eure Piepmätze nicht mit den herkömmlichen gezuckerten und zig E-Nummern angereicherten Frühstückscerealien, das würde Eure gefiederten Lieblinge vermutlich auf lange Sicht töten.

Die Diamonds vertreten in ihren Büchern die These, die durch chronobiologische Forschungen durchaus unterfüttert ist, dass die zirkadischen Rhythmen unseres Stoffwechsels sich grob betrachtet in Acht-Stunden-Zyklen aufteilen: Von 12 Uhr Mittags, wenn die Sonne im Zenit steht, bis 20 Uhr dominiert die Bereitschaft unseres Körpers Nahrung besonders gut aufzunehmen. Von 20 Uhr bis 4 Uhr morgens dominiert die Assimilation der aufgenommenen Nahrung und von 4 Uhr bis 12 Uhr ist unser Stoffwechsel auf Ausscheidungsvorgänge der Stoffwechselendprodukte programmiert. Aufnahme - Assimilation - Ausscheidung.

Selbstverständlich laufen diese Prozesse grundsätzlich zu jeder Tages- und Nachtzeit ab, jedoch zu ihrer jeweiligen "Primetime" eben effektiver und effizienter, wie die Diamonds meinen. Ob dem wirklich so ist, sei dahingestellt. Wir haben nun, so deren These, die Wahl mit oder gegen unsere innere Stoffwechseluhr zu leben. Leben wir mit ihr, wird uns das unser Körper mit Gesundheit und Wohlbefinden danken, leben wir gegen sie, so kann dies zu Unwohlsein, körperlichen Beschwerden und Krankheit führen.

Das erschien mir persönlich nicht unlogisch, zumal ich meine eigenen Präferenzen in dieser Theorie gut gespiegelt sah. Ich hab's also ausprobiert und meine Nahrungsaufnahme an den zirkadischen Rhythmen orientiert. Ich habe nach 20 Uhr nichts mehr zu mir genommen und zumindest an Tagen, an denen ich wenig oder keinen Sport am vormittag getrieben habe, komplett auf Nahrung verzichtet und lediglich Wasser getrunken, um die Ausscheidungsvorgänge dieser Phase zu unterstützen. An Tagen mit intensiven Training schon am Vormittag, bin ich dem Diamond'schen Vorschlag gefolgt, von 4 bis 12 Uhr ausschließlich Obst zu essen, wenn ich etwas zu mir nehmen wollte.

Nach naturheilkundlicher Vorstellung besitzt Obst reinigende Funktion auf den gesamten Organismus. Sofern man Obst pur, roh und nicht mit anderen Lebensmitteln kombiniert isst. Das ist entscheidend und zumindest meiner Erfahrung nach auch richtig.Warum wieso, weshalb - ein weites Feld, das den Rahmen dieses Essays sprengen würde. Dazu vielleicht ein andermal mehr.

Ergebnis meines Selbstversuchs: Deutliche Besserung diverser Verdauungsbeschwerden und eine deutliche Zunahme meiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit innerhalb weniger Wochen. Seither bin ich (und wir) überzeugt davon, dass an den chronobiologischen Aspekten der Ernährung im Mikrozyklus eines vollständigen Tages etwas dran sein muss. Ebenso gibt es chronobiologische Theorien zu Makrozyklen (an den Jahreszeiten angepasst) auf die ich aber heute an dieser Stelle ebenfalls nicht eingehen will.

Zur Ausgangsfrage zurück: Frühstück - Ja? Nein? Falls ja: was? Antwort:  
  • Frühstück sollte man sich sparen, wenn man damit grundsätzlich zurecht kommt, da es grundlegenden zirkadischen Rhythmen zuwider läuft zu frühstücken. 
  • Falls man nicht auf ein Frühstück verzichten will oder kann, sollte man sich angewöhnen bis Mittag ausschließlich rohes und reifes Obst in beliebiger Menge bis zur individuellen Sättigung zu essen und dies keinesfalls mit anderen Lebensmitteln, vor allem nicht mit Proteinen zu kombinieren.

Es ist davon auszugehen, dass dies auch im Großen und Ganzen dem Ernährungsschema von Jägern und Sammlern ähnlich ist, denn Obst findet man auf den Streifzügen zur kollektiven Nahrungsversorgung in meist bequemer Reichweite und es läuft auch nicht davon wie Jagdwild.

Zudem reichen die Abstammungslinien des Homo Sapiens zurück auf auf Früchteverzehr spezialisierte Vorfahren, so dass diese Nahrungsquelle eine gewissen Vorzugsstellung im täglichen Ablauf gehabt haben dürfte und noch heute hat, sofern Obst jahreszeitlich bedingt verfügbar ist. Da die proteinreichen tierischen Nahrungsquellen erst gejagt, erlegt und zubereitet werden müssen, stellten und stellen diese die typische (kollektiv genossene) Abendmahlzeit dar.

Anders als wir Menschen der "zivilisierten Welt" kennt der Jäger und Sammler auch keine "Hauptgerichte" und "Beilagen" oder gar eine spezifische Speisenfolge. Solche Fisimatenten kamen erst in der Renaissance auf. Wenn es Fleisch gibt, wird Fleisch gegessen. Findet man einen Baum mit reifen Früchten, dann werden Früchte gegessen bis man nicht mehr Papp sagen kann. Den Bären nicht unähnlich. In etwa so auch, wie sich mancher Oberpfälzer im Frühsommer auf Erdbeerplantagen zum Selbstpflücken im Regensburger Umland kostenlos bis zum Anschlag "verköstigt" und dann sein Alibischüsselchen voll Erdbeeren zur Kasse trägt... ;-)

Re-Post vom 16.08.2013